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Erwerbsunfähigkeit

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Gesetzliche Bestimmung

Durch die Rechtsprechung beurteilte Diagnosen

Allgemeine Rechtsprechung

Wechselwirkungen  

Invaliditätsfremde Gründe

Aggravation

 

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Gesetzliche Bestimmung

Erwerbsunfähigkeit

Art. 7 ATSG (KSIR)

 

1 Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt.

 

2 Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist.

Durch die Rechtsprechung beurteilte Diagnosen

Allgemeine Rechtsprechung

Bedeutung der Therapierbarkeit (Selbsteingliederung) auf die Erwerbsunfähigkeit

Urteil 9C_443/2023 vom 28.02.2025 (Volltext)

 

Behandelbarkeit schliesst eine rentenbegründende Invalidität nicht automatisch aus (E. 5.1.3):

Bedeutung der Therapierbarkeit für die Selbsteingliederung und die Revision (E. 5.1.4):

  • Bedeutsam bleibt die Therapierbarkeit insoweit, als sie den Schweregrad und die Prognose eines Leidens beeinflussen kann.
  • Steht ein Behandlungserfolg unmittelbar und ausschliesslich im Verhalten der versicherten Person (z. B. konsequente Medikamenteneinnahme), kann er im Sinne der Selbsteingliederung (vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. d und Art. 7a IVG; BGE 148 V 397 E. 7) vorausgesetzt werden.
  • Ist dagegen keine aus eigener Initiative umsetzbare Verbesserung erreichbar, kann auch bei behandelbaren Leiden eine rentebegründende Erwerbsunfähigkeit vorliegen (vgl. BGE 145 V 215 E. 8.2).
  • Eine laufende oder geplante Therapie schliesst eine Rente nicht aus; erst wenn sich ein Erfolg realisiert oder die Mitwirkungspflicht verletzt wird, ist eine Revision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG möglich (vgl. BGE 127 V 294 E. 4b/cc).

Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit und strukturiertes Beweisverfahren

Urteil 8C_53/2022 vom 05.07.2022 E. 4.2 (Volltext)  

 

Strukturiertes Beweisverfahren für psychische Erkrankungen: 

 

Es ist zwar richtig, dass gemäss BGE 143 V 409 und 418 für die Beurteilung der Invalidität grundsätzlich sämtliche psychischen Erkrankungen einem strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen sind. 

 

Ausnahmen vom strukturierten Beweisverfahren:

 

Ein strukturiertes Beweisverfahren bleibt dort entbehrlich, wo im Rahmen beweiswertiger fachärztlicher Berichte eine Arbeitsunfähigkeit in nachvollziehbarer begründeter Weise verneint wird und allfälligen gegenteiligen Einschätzungen mangels fachärztlicher Qualifikation oder aus anderen Gründen kein Beweiswert beigemessen werden kann (BGE 143 V 418 E. 7.1 f. mit Hinweisen; Urteil 9C_721/2018 vom 12. März 2019 E. 3.2).

Nicht Diagnose und Schwere Erkrankung sind entscheidend, sondern Auswirkung auf Arbeitsunfähigkeit

Urteil 8C_53/2022 vom 05.07.2022 E. 4.1.2 (Volltext)

 

So betonte das Bundesgericht in BGE 148 V 49 E. 6.2.2, dass aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht letztlich nicht die Schwere einer Erkrankung entscheidend ist, sondern deren Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit, zumal sie in beruflicher Hinsicht unterschiedliche Folgen zeitigt (BGE 143 V 418 E. 5.2.2).

Wechselwirkungen

Vorgehen bei der Abgrenzung von psychischen Störungen und invaliditätsfremden Gründen

Urteil 8C_481/2024 vom 04.03.2025 E. 5.2.1 (Volltext)

 

Eigenständige Gesundheitsschädigung trotz psychosozialer Einflüsse:

 

Praxisgemäss spielt es keine Rolle, dass psychosoziale oder soziokulturelle Umstände bei der Entstehung einer Gesundheitsschädigung einen wichtigen Einfluss gehabt hatten, sofern sich inzwischen ein eigenständiger invalidisierender Gesundheitsschaden entwickelt hat (vgl. BGE 143 V 409 E. 4.5.2; 141 V 281 E. 4.3.3). 

 

Abgrenzung sozialer Faktoren bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit:

 

Psychosoziale und soziokulturelle Faktoren sind aber insoweit auszuklammern, als es darum geht, die für die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit kausalen versicherten Aspekte zu umschreiben. Mit anderen Worten finden soziale Faktoren keine Berücksichtigung, sobald sie direkt negative funktionelle Folgen zeitigen (BGE 141 V 281 E. 3.4.2.1 und 4.3.3). 

 

Erhöhte Anforderungen an den Krankheitswert bei starkem psychosozialem Einfluss:

 

Eine krankheitswertige Störung respektive eine Abhängigkeitsproblematik muss folglich - und auch nach neuerer Rechtsprechung - umso ausgeprägter vorhanden sein, je stärker psychosoziale und soziokulturelle Faktoren das Beschwerdebild mitprägen (BGE 145 V 215 E. 6.3 mit Hinweis auf BGE 127 V 294 E. 5a). 

 

Strukturiertes Beweisverfahren zur Prüfung eines verselbstständigten Gesundheitsschadens:

 

Wohl überschneiden sich krankheitswertige psychische Störungen sowie psychosoziale und soziokulturelle Aspekte oftmals. Ob dabei aber ein verselbstständigter Gesundheitsschaden vorliegt, ist im Rahmen des mit BGE 141 V 281 eingeführten strukturierten Beweisverfahrens zu prüfen, indem die betreffenden Umstände und ihre Entwicklung als Ressourcen oder Belastungsfaktoren in den Komplexen "Persönlichkeit" und "sozialer Kontext" (BGE 141 V 281 E. 4.3.2 f.) bewertet werden (vgl. BGE 143 V 409 E. 4.5.2). 

 

Einbezug sozialer Belastungen im Rahmen der Indikatorenprüfung:

 

Soziale Belastungen, die direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, sind aber nicht vorab und losgelöst von der Indikatorenprüfung, sondern in deren Rahmen im Gesamtkontext zu würdigen. Dabei werden die funktionellen Folgen von Gesundheitsschädigungen durchaus auch mit Blick auf psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren abgeschätzt, welche den Wirkungsgrad der Folgen einer Gesundheitsschädigung beeinflussen (BGE 141 V 281 E. 3.4.2.1; Urteil 8C_441/2024 vom 31. Januar 2025 E. 6.1 mit weiteren Hinweisen; Urteil 8C_773/2023 vom 1. Mai 2024 E. 3.2.2). 

 

Massgebliche Ursache für Arbeitsunfähigkeit bei psychosozialer Mitprägung des Beschwerdebildes:

 

Die massgebende Ursache für Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 6 ATSG bestimmt sich somit auch nach dem Leitsatz, dass eine fachärztlich festgestellte psychische Störung von Krankheitswert umso ausgeprägter vorhanden sein muss, je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im Einzelfall in den Vordergrund treten und das Beschwerdebild mitbestimmen. So kann eine psychische Störung chronifiziert, damit durchaus verselbständigt sein, und dennoch im Rahmen des gesamten Beschwerdebildes nicht genug ins Gewicht fallen, als dass auf eine längerdauernde Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 f. ATSG) geschlossen werden dürfte (vgl. Urteil 9C_252/2014 vom 17. Juni 2014 E. 3.1.3; siehe auch Urteil 8C_858/2017 vom 17. Mai 2018 E. 3.2). 

 

Vgl. auch Urteil 9C_140/2014 vom 07.01.2015 E. 3.3, Urteil 8C_302/2011 vom 20.09.2011 E. 2.5.2

Wechselwirkung in der Praxis mit einer resultierenden Arbeitsunfähigkeit von 100 %

Urteil 8C_105/2023 vom 10.07.2023 (Volltext)

 

E. 5.1: Einfluss psychosozialer und soziokultureller Faktoren:

  • Psychosoziale/soziokulturelle Umstände sind irrelevant, wenn ein eigenständiger invalidisierender Gesundheitsschaden vorliegt.
  • Soziale Belastungen mit direkten negativen funktionellen Folgen werden im Beweisverfahren ausgeklammert.
  • Diese Faktoren sind im Gesamtkontext der Indikatorenprüfung zu würdigen.

E. 5.2.1: Gutachterliche Feststellungen von Dr. med. C.:

  • Diagnosen: Chronische Depression (schwergradig), Agoraphobie mit Panikstörung, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
  • Krankheiten beeinflussen sich gegenseitig ungünstig und verstärken negative Auswirkungen.
  • Keine direkten Auswirkungen psychosozialer Faktoren auf die Leistungsfähigkeit erkennbar.
  • 100%ige Arbeitsunfähigkeit seit 3. Oktober 2017 in angestammter und angepasster Tätigkeit.

E. 5.2.2: Rechtliche Würdigung:

  • Entwicklung eines eigenständigen mittelschweren bis schweren invalidisierenden psychischen Gesundheitsschadens.
  • Vorinstanzliche Herabstufung des Schweregrades unter Verweis auf psychosoziale Faktoren wird abgelehnt.
  • Gericht hat durch eigenständige medizinische Einschätzung die Grenzen der Rechtskontrolle überschritten.

E. 5.2.3: Schlussfolgerung:

  • Gutachten bestätigt rechtlich relevante vollständige Arbeitsunfähigkeit des Versicherten seit 3. Oktober 2017.

Invaliditätsfremde Gründe

Fehlende Verselbstständigung der psychischen Erkrankung

Urteil 8C_441/2024 vom 31.01.2025 (Volltext): Kein Anspruch auf eine Invalidenrente

 

Der Versicherte machte eine psychische Beeinträchtigung geltend und forderte eine Dreiviertelsrente (E. 3). 

 

Das Bundesgericht betonte, psychosoziale und soziokulturelle Faktoren allein genügten nicht für einen eigenständigen Gesundheitsschaden (E. 6 i.V.m. BGE 141 V 281). 

 

Die Vorinstanz hätte diese Faktoren im Rahmen der Standardindikatorenprüfung genauer würdigen müssen (E. 4; Urteil 8C_773/2023).

 

Da ein verselbstständigter krankheitswertiger Gesundheitsschaden nicht ausgewiesen ist, wurde die Dreiviertelsrente abgelehnt (E. 5 und 6). 

Psychosoziale und soziokulturelle Umstände im Kontext mit dem struturierten Beweisverfahren

Urteil 8C_773/2023 vom 01.05.2024 E. 3.2.2 (Volltext)

 

Abgrenzung von eigenständig invalidisierenden Gesundheitsschaden:

 

Praxisgemäss spielt es keine Rolle, dass psychosoziale oder soziokulturelle Umstände bei der Entstehung einer Gesundheitsschädigung einen wichtigen Einfluss gehabt hatten, sofern sich inzwischen ein eigenständiger invalidisierender Gesundheitsschaden entwickelt hat (BGE 141 V 281 E. 3.4.2.1).

 

Ausklammern von sozialen Belastungen im strukturierten Beweisverfahren:

 

Im Rahmen des strukturierten Beweisverfahrens nach BGE 141 V 281 sind soziale Belastungen, die direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, auszuklammern (vgl. BGE 143 V 409 E. 4.5.2, 141 V 281 E. 4.3.3)

 

Ganzheitliche Würdigung im Gesamtkontext:

 

Sie sind aber nicht vorab und losgelöst von der Indikatorenprüfung, sondern in deren Rahmen im Gesamtkontext zu würdigen. Dabei werden die funktionellen Folgen von Gesundheitsschädigungen durchaus auch mit Blick auf psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren abgeschätzt, welche den Wirkungsgrad der Folgen einer Gesundheitsschädigung beeinflussen (BGE 141 V 281 E. 3.4.2.1; Urteil 8C_407/2020 E. 4.1; Urteil 8C_105/2023 vom 10. Juli 2023 E. 5.1 mit weiteren Hinweisen).  

Psychosoziale Belastungsfaktoren ohne Erwerbsunfähigkeit

Urteil 8C_438/2013 vom 11.02.2014 E. 5.3 (Volltext)

 

Kein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden: Psychosozialen Belastungsfaktoren wie

  • abgebrochene Schulausbildung,
  • fehlende Berufsausbildung,
  • erschwerte Bedingungen auf dem freien Arbeitsmarkt,
  • Migrationshintergrund,
  • partnerschaftliche Schwierigkeiten
  • und finanzielle Engpässe.

Invaliditätsfremde Gründe rechtfertigen keine Arbeitsunfähigkeit

BGE 127 V 294 vom 05.10.2000 (Volltext): Grundsatz psychischer Leiden  

 

Zusammenfassung:

  • Eine invalidisierende psychische Störung muss über soziokulturelle Belastungen hinaus eigenständige psychiatrische Befunde aufweisen.

Aus dem Urteil gemäss E. 5a:

 

Das bedeutet, dass das klinische Beschwerdebild nicht einzig in Beeinträchtigungen, welche von den belastenden soziokulturellen Faktoren herrühren, bestehen darf, sondern davon psychiatrisch zu unterscheidende Befunde zu umfassen hat, zum Beispiel eine von depressiven Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im fachmedizinischen Sinne oder einen damit vergleichbaren psychischen Leidenszustand. 

 

Solche von der soziokulturellen Belastungssituation zu unterscheidende und in diesem Sinne verselbstständigte psychische Störungen mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sind unabdingbar, damit überhaupt von Invalidität gesprochen werden kann. 

 

Wo der Gutachter dagegen im Wesentlichen nur Befunde erhebt, welche in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden gegeben.

Aggravation

Aggravation infolge Inkonsistenzen bei Begutachtung und negativem Medikamentenscreening

Urteil 8C_288/2024 vom 29.10.2024 (Volltext): Aggravation liegt vor

 

Auffälligkeiten laut SMAB-Gutachter gemäss E. 8.4.2:

  • Somatisch inkonsistentes Bewegungsverhalten
  • Aggravationstendenzen bei Exploration
  • Diskrepanz zwischen Schmerzangaben und Körpersprache
  • Widersprüche in Anamnese trotz Übersetzer
  • Verdacht auf pseudologische Antworten
  • Im Medikamentenscreening: angegebene Medikation nur unzureichend nachgewiesen

Rechtliche Beurteilung gemäss E. 8.5.1:

  • Eigenverantwortliche Medikamenteneinnahme erforderlich
  • Fehlender Medikamentenspiegel deutet auf mangelnde Compliance und fehlenden Leidensdruck
  • Keine Hinweise auf medizinische Gründe für unzureichenden Nachweis der Medikation

Abgrenzung zwischen Verdeutlichung und Aggravation; keine Indikatorenprüfung bei Aggravation

Urteil 8C_48/2024 vom 17.09.2024 E. 7.1 (Volltext)  

 

Grundsatz der Aggravation:

  • Es liegt regelmässig keine versicherte Gesundheitsschädigung vor, soweit die Leistungseinschränkung auf Aggravation oder einer ähnlichen Erscheinung beruht.  

Abgrenzung zwischen Verdeutlichung und Aggravation:

Keine Grundlage für eine Invalidenrente:

  • Besteht im Einzelfall Klarheit darüber, dass solche Ausschlussgründe die Annahme einer Gesundheitsbeeinträchtigung verbieten, so besteht von vornherein keine Grundlage für eine Invalidenrente, selbst wenn die klassifikatorischen Merkmale einer gesundheitlichen Störung gegeben sein sollten (Art. 7 Abs. 2 erster Satz ATSG)

Keine Indikatorenprüfung bei psychischen Leiden:

Bereinigung der Auswirkungen bei verselbstständigter Gesundheitsschädigung: 

Rechtsfrage:

Vgl. Urteil 8C_288/2024 vom 29.10.2024 E. 8.5.1

Definition und bewusst gesteuerte Aggravation ohne Erwerbsunfähigkeit

Urteil 8C_653/2023 vom 21.02.2024 (Volltext)  

 

Keine versicherte Gesundheitsschädigung bei Aggravation:

 

2.4. … Zu wiederholen ist, dass nach der Praxis regelmässig keine versicherte Gesundheitsschädigung vorliegt, soweit die Leistungseinschränkung auf Aggravation oder einer ähnlichen Erscheinung beruht, die eindeutig über die blosse unbewusste Tendenz zur Schmerzausweitung und -verdeutlichung hinausgeht, ohne dass das betreffende Verhalten auf eine verselbstständigte psychische Erkrankung zurückzuführen wäre (BGE 141 V 281 E. 2.2.1 mit Hinweisen; Urteil 9C_371/2019 vom 7. Oktober 2019 E. 5.1.2 mit weiteren Hinweisen).   

 

Gutachterliche Feststellung der Aggravation: 

 

3.1.2. … Der psychiatrische Sachverständige der Medexperts AG habe die vom Versicherten angegebene Schmerzproblematik bei krass widerspüchlichem Verhalten überzeugend als Aggravation und diagnostisch als Entwicklung von körperlichen Symptomen aus psychischen Gründen (ICD-10: F68.0) ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit interpretiert. Wenn, wie vorliegend, eindeutig eine Aggravation gegeben sei, bestehe von vornherein keine Grundlage für eine Invalidenrente wegen einer psychischen Erkrankung, selbst wenn die klassifikatorischen Merkmale einer somatoformen Schmerzstörung gegeben sein sollten (mit Hinweis auf BGE 141 V 281 E. 2.2.2)

 

Ausschluss krankheitsbedingter Aggravation und Rechtsfolgen:

 

Dass das aggravatorische Verhalten krankheitsbedingt sein könnte, werde weder von den Gutachtern noch von irgendwelchen behandelnden Ärzten psychiatrischer Fachrichtung in Betracht gezogen. Eine Persönlichkeitsstörung hätten die Sachverständigen der Medexperts AG ausgeschlossen. Insgesamt müsse eine bewusste und gesteuerte Symptomerzeugung (Aggravation) angenommen werden. Damit erübrige sich die Durchführung eines strukturierten Beweisverfahrens (mit Hinweis auf das Urteil 9C_520/2019 vom 22. Oktober 2019 E. 6.1).  

Aggravation in medizinischen Gutachten: Kritische Bewertung der Explorandenangaben

Urteil 8C_149/2022 vom 19.01.2023 E. 6.1 (Volltext)

 

So darf der oder die medizinische Sachverständige die Angaben des Exploranden im Rahmen der klinischen Untersuchung nicht vorbehaltlos als richtig ansehen. Bestandteil einer stichhaltigen Begutachtung bilden unter anderem Angaben zum ärztlich beobachteten Verhalten, Feststellungen über die Konsistenz der gemachten Angaben wie auch Hinweise, welche zur Annahme von Aggravation führen können (statt vieler: Urteile 9C_38/2022 vom 24. Mai 2022 E. 4.3; 8C_390/2017 vom 9. November 2017 E. 4.1 mit Hinweis).

Vertiefte Prüfung des funktionellen Schweregrades im Kontext der Aggravation

Urteil 8C_2/2022 vom 04.07.2022 (Volltext)  

 

Aggravation und versicherte Gesundheitsschädigung: 

 

6.1. Das Vorliegen von Aggravation führt rechtsprechungsgemäss nicht automatisch zur Verneinung jeglicher versicherten Gesundheitsschädigung, sondern nur insoweit,

In BGE 143 V 418 E. 7.1 wird betont, dass Hinweise auf Inkonsistenzen, Aggravation oder Simulation nicht in jedem Fall einen Ausschlussgrund bilden, aber jedenfalls nach einer vertiefenden Prüfung des funktionellen Schweregrades (des ärztlich festgestellten psychischen Leidens) rufen.  

 

Auswirkungen von Aggravation und Inkonsistenzen: 

 

6. 4. Es kann offen bleiben, ob von einem Ausschlussgrund im Sinne von BGE 141 V 281 E. 2.2.1 auszugehen ist. So oder so führen die von den Gutachtern einhellig berichtete Aggravation und die gezeigten Inkonsistenzen demnach zum Ergebnis, dass ein erhebliches Krankheitsgeschehen nicht mehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte.

Kriterien der Aggravation

Urteil I 578/04 vom 28.12.2004 E. 2.1 (Volltext)

 

Beruht die Leistungseinschränkung auf Aggravation oder einer ähnlichen Konstellation, liegt regelmässig keine versicherte Gesundheitsschädigung vor.

 

Eine solche Ausgangslage ist etwa gegeben, wenn:

  • eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geschilderten Schmerzen und dem gezeigten Verhalten oder der Anamnese besteht;
  • intensive Schmerzen angegeben werden, deren Charakterisierung jedoch vage bleibt;
  • keine medizinische Behandlung und Therapie in Anspruch genommen wird;
  • demonstrativ vorgetragene Klagen auf den Sachverständigen unglaubwürdig wirken;
  • schwere Einschränkungen im Alltag behauptet werden, das psychosoziale Umfeld jedoch weitgehend intakt ist.